Sonntag, 4. Januar 2009

Call for Papers

Intellektuelle Lebenswelten.
Theorie und Praxis einer studentischen Laufbahn.
am 24.01.2009 von 10.00-18.00 Uhr in H/201


Das „Jahr der Geisteswissenschaften“ liegt hinter uns - die Diskussionen um deren Leistungs- bzw. Wirkmächtigkeit gehen weiter. Geisteswissenschaftliche Disziplinen stehen unter Rechtfertigungsdruck, obwohl sie Fähigkeiten schulen, die die heutige Berufswelt nachhaltig fordert. Dazu zählt das Vermögen zwischen den Zeilen lesen zu können, die eigene Perspektive zu relativieren, komplexe Problemstellungen zu analysieren, sie in größere Zusammenhänge einzuordnen und Ergebnisse und Lösungen prägnant zu formulieren. In “Nützlichkeitsdebatten“ sehen sich gerade junge Geistes- und Kulturwissenschaftler und -wissenschaftlerinnen sowohl auf ökonomischer und sozialer, als auch auf persönlicher Ebene mit Fragen nach der Relevanz ihrer Disziplin bzw. der Verwertbarkeit ihrer Ergebnisse konfrontiert.
Es erscheint uns also durchaus geboten, Bedeutung und Leistungen der Geisteswissenschaften zu reflektieren. Wer sich mit dem Menschen und seinen Äußerungen und Handlungen, deren Analyse und Interpretation befasst, bewegt sich ständig zwischen Welterklärung und Weltverklärung. Sie/Er findet sich in der Situation wieder, dass ihre/seine Einsichten in kulturelle, soziale bzw. anthropologische Verhältnismäßigkeiten eine unreflektierte Teilhabe an der Lebenswelt (bis in die Privatsphäre hinein) unmöglich erscheinen lassen. Paradox hieran ist, dass sie/er stets Beobachter und Beobachteter gleichzeitig ist, insofern sie/er genuiner Teil des eigenen Forschungsfeldes ist; das heißt also, dass die eigene wissenschaftliche Tätigkeit selbst einer wissenschaftlichen Reflexion bedarf.
Das erste Symposium des Arbeitskreises Europäische Ethnologie lädt Studierende, „Jung-Absolventen“ und Doktoranden der Fakultät GuK, sowie der Fächer Soziologie und Psychologie herzlich dazu ein, anhand von Theorien und Themengebieten oder Beispielen aus Seminar- und Abschlussarbeiten sowohl die eigenen Erfahrungen mit Theorie und Praxis der Fächer, als auch deren kritischer Reflexion im Hinblick auf die persönliche Lebenswelt zu präsentieren. Dabei stellt sich die Frage, wie sich je fachspezifische Wahrnehmungs- und Deutungsmuster in der eigenen Biographie und dem damit eng verbundenen wissenschaftlichen Handeln niederschlagen.
Inwieweit hat die Auseinandersetzung mit Denkbewegungen, die den Menschen zum zentralen Thema haben, Auswirkungen auf die eigenen Weltdeutungsmuster, die Art und Weise der Kommunikationsführung und -bewältigung, Argumentationsstrategien und letztlich auch auf persönliche Überzeugungen? Ist die erhöhte Konfrontationsfrequenz mit fachspezifischen Phänomenen der Tatsache geschuldet, dass man sich im Laufe seines Studiums quasi automatisch vermehrt mit derartigen Fragestellungen beschäftigt, oder ist sie vielmehr ein Produkt einer sich ändernden Wahrnehmung, die im Laufe des Studiums durch die Veränderung von Denkstrukturen auf bestimmte Reize sensibilisiert wird, so dass einschlägige Phänomene überhaupt erst als solche wahrnehmbar werden? Sind derartige Phänomene überhaupt „real“ bzw. welchen Realitätsgrad kann man ihnen zusprechen? Greift die postmoderne These, alles sei Interpretation bzw. kann man sich dieser als Studierender der Geistes- oder Kulturwissenschaften überhaupt entziehen; und wenn ja, wie? Wie verhält es sich mit der massenmedialen Vermittlung und gegebenenfalls Vereinfachung oder gar Verfälschung fachspezifischer Inhalte (z.B. in populären Wissenschaftsmagazinen des Fernsehens oder der Printmedien)? Wie beeinflusst diese Form der Wissensaufbereitung das wissenschaftliche Selbstverständnis? Welche Rolle spielen kulturkritische Perspektiven für Theorien und deren Anwendungen? Welche Identifikationsangebote liefern demnach die Geistes- und Kulturwissenschaften der Gesellschaft? Wie grundlegend ist die Utopie eines „absolut transparenten Menschen“? Welche Möglichkeiten haben sie, sich sinnvoll zwischen elitärer Schaumschlägerei und sozial relevanter Aufklärung zu positionieren?
Auf dem theoretischen Diskurs aufbauend soll aber auch die Verwertbarkeit der universitären Lehre in der persönlichen oder auch beruflichen Wirklichkeit reflektiert werden. Inwiefern erleben Studierende den in ihren jeweiligen Fächern gelehrten Stoff als wirklichkeits- und anwendungsbezogen, z.B. während der Vorbereitung von Examensarbeiten, in Praktika oder auch im alltäglichen Leben? Oder erfahren sie die Universität als „Elfenbeinturm“ der Wissenschaft, deren Methoden und Theorien kaum auf die Welt „da draußen“ angewandt werden können?
In einem 2005 erschienenen Aufsatz stellt der Volkskundler Gottfried Korff Fragen, welche die kritische Reflexion der dem Forscher und der Disziplin eigenen grundlegenden Positionen anregen, und bezieht sich dabei auf Richard Rorty, der die ständige Selbst- Neuerfindung des Wissenschaftlers durch ständige Selbst-Neubeschreibung fordert. Der (Selbst-)Analytiker, der sich dadurch auszeichnet, dass er erkennt, dass er selbst und das vor ihm da Gewesene einem ständigen Wandel ausgesetzt sind, ist somit der ideale Wissenschaftler (Rortys Konzept des Ironikers). Bei der Beschreibung des Früheren, Jetzigen und Möglichen liegt die Absicht nicht darin, ein allumfassendes Schema zu finden, sondern Autonomie zu erlangen.
Im Mittelpunkt der Betrachtungen steht konkret die Frage danach, wie junge Geistes- und Kulturwissenschaftler und -wissenschaftlerinnen mit der durch das Studium der Geisteswissenschaften neu geschaffenen Realität und den erlangten Möglichkeiten, diese zu bewerten, umgehen. Beziehungsweise: Welche Wirk- und Konstitutionsmächtigkeit des durch die Auseinandersetzung mit der Kultur als Forschungsfeld erlangten Wissens wird in den Alltag transportiert und verarbeitet?
Gebeten wird um Beiträge von 20-30 Minuten Länge. Diese sollen aufbauend auf einer kritischen Reflexion der eigenen Position „zwischen Theorie und Praxis“ der Geistes- und Kulturwissenschaften (also deren Einfluss auf persönliche Denkstrukturen, Weltdeutungsmuster etc.) die Frage nach deren Wirkmächtigkeit diskutieren. Abstracts im Umfang von ca. einer DINA4 Seite, sowie Daten zur eigenen Person (Alter, Studiengang, Fachrichtung, Semester, ggf. Thema der Abschlussarbeit bzw. Dissertation, etc.) sollten bitte bis einschließlich 14.12.2008 an a.depner(at)gmx.net oder katharina.scheffner(at)gmail.com geschickt werden.


Wir freuen uns auf euch,

die Mitglieder des Arbeitskreises Europäische Ethnologie

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen