Mittwoch, 7. Januar 2009

Abstracts

Der Studierende als Showmaster oder Die Kunst, die Fragen
zu stellen, deren Antworten man schon weiß


"Der Satiriker ist ein gekränkter Idealist: er will die Welt gut haben, sie ist schlecht, und nun rennt er gegen das Schlechte an." – Kurt Tucholsky „Was darf die Satire?“, in: „Berliner Tageblatt“, Nr. 36, 27. Januar 1919;

Vorbemerkung:
Die Hochschulen befinden sich in einem steten Reformprozess, wie auch in der Wissenschaft beständig neues Wissen produziert wird. Die Rolle, die den Studierenden hierbei zukommt ist eine mehrfache. Zunächst werden sie als zukünftige Wissensproduzierende ausgebildet, die dabei bestehende Theorie und Praxis zunächst konsumieren; später dann allerdings als Prosumierende sowohl Wissen konsumieren als auch (re-)produzieren. Ausgehend von einer Wissenschaftskritik, die von einer Selbstlegitimierung der Wissensproduktion an Hochschulen handelt, soll die Rolle der Studierenden in diesem Prozess näher betrachtet werden. Eine Pädagogik als konstruktive Wissenschaft beschäftigt sich mit dem Suchen nach Fragen und der Beantwortung dieser unter kritischer Betrachtung der Such-, Frage- und Beantwortungszusammenhänge.

Zum Thema:
Studierende an Hochschulen haben vielfältige Aufgaben und sind in viele Prozesse mit eingebunden, die sie mehr oder minder bewusst wahrnehmen. Eine dieser Aufgaben ist insbesondere, an der Produktion und Reproduktion des Wissens und der „Wahrheit“ der jeweiligen Wissenschaft Teil zu haben. Daraus ergibt sich der Anspruch diese Wahrheit, das bestehende Wissen sowie der Prozess deren Hervorbringung einer kritischen Reflexion zu unterziehen. Diese kritische Reflexion ist ein besonderes Merkmal der so genannten Geistes- und Sozialwissenschaften. Hier ergibt sich ein Spannungsfeld zwischen dem Anspruch an objektives bzw. objektivierbares Wissen und einem Verwertbarkeitsanspruch von Forschungsergebnissen und Wissen. Studierende werden mit dieser Spannung dann konfrontiert, wenn sie sich der Frage ausgesetzt sehen, warum sie denn studieren und wenn sie ein geisteswissenschaftliches Studium aufnehmen, was dann das spätere Berufsziel sei. Hier findet dann ein weiterer Zweig der Wissenschaft seine Bestimmung: Professionsforschung oder Identitätskonstruktion des jeweiligen Faches. Exemplarisch für die Sozialpädagogik sei hier folgendes Zitat:

„Lebensweltorientierte soziale Arbeit agiert in den gegebenen Verhältnissen immer im Zwiespalt zwischen entlastender, guter Selbstverständlichkeit und Verdrängung, Einschränkung; sie agiert mit der kritischen Frage danach, inwieweit sich Menschen in den gegebenen Verhältnissen realisieren können; sie drängt auch auf Veränderung und Verbesserung, begründet auf Wertungen. […] Lebensweltorientierte soziale Arbeit ist der schwierige Balanceakt zwischen Respekt und Veränderung, zwischen Respekt, Bewertung und Kritik, zwischen Respekt und Neugestaltung. Dieser Balanceakt ist um so heikler, als Sozialarbeit ihrerseits nur über die Mittel professioneller, institutioneller geregelter Hilfen verfügt.“ Thiersch, H.: Ganzheitlichkeit und Lebensbezug als Handlungsmaximen der sozialen Arbeit. In: Greese, D. et al.: Allgemeiner Sozialer Dienst. Votum: Münster 1993; S. 143 ff.

Übertragen auf die Theorie und Praxis des Studierendendaseins in so genannten intellektuellen Lebenswelten stellt sich die Frage, ob Studierende sich mit ihren jeweiligen individuellen Vorstellungen in den an der Hochschule gegebenen Verhältnissen realisieren können und inwieweit eine Neugestaltung bzw. Beteiligung am System Hochschule gegeben ist. Ein einfacher Weg ein Studium zum Abschluss zu bringen, ist es, möglichst unkritisch sich den Verhältnissen anzupassen bzw. diese so wenig wie möglich in Frage zu stellen. Bestehendes Wissen wird als gegeben hingenommen und keiner Überprüfung mehr unterzogen. Die Konstruktion der eigenen Identität beschränkt sich auf das Verhalten neben dem Fachstudium in Freundes- und Bekanntenkreis. Die in einem Studium angelegte Erwartung, nach dem Abschluss als so genannte Führungskraft zur Verfügung zu stehen, die eigene Entscheidungen verantwortungsvoll trifft, wird hier nur zum Teil erfüllt. Dennoch gilt ein Hochschulabschluss als ausgewiesenes Zeichen von Intelligenz und somit Elite. Diese Form von Macht bzw. Entscheidungsbefugnis wird als Versprechen angenommen und während der Studienzeit abgegeben an diejenigen, die diesen Prozess schon durchlaufen haben (= Hochschullehrende). Von daher beschränkt man sich während des Studiums darauf, Sachverhalte in Hausarbeiten und Klausuren aufzuarbeiten, die schon bekannt sind bzw. die schon bearbeitet worden sind. Die Kunst ist es, die eigene Fragestellung so geschickt zu wählen, dass man die Antworten schon vorhersagen kann, es aber dennoch innovativ und kreativ klingt. Ein solches Studium ist zügig und effizient zum Ende zu bringen und ökonomisch allemal. Was aber ist ein erstrebenswertes Studium für Studierende in den Geistes- und Sozialwissenschaften?

Hier seien nur kurze Stichpunkte bzw. Fragen genannt, die meines Erachtens wichtig sind, um sich den bestehenden Verhältnissen an der Hochschule nicht nur anzudienen, sondern selbst prosumierender Teil der Wissenschaft zu sein:

- Gibt es so etwas wie Wahrheit?
- Die beiden Kantischen Fragen „Was kann ich wissen?“ und „Was soll ich tun?“ dürfen nicht unabhängig voneinander betrachtet werden
- Erleichtert ein stetiges Infrage stellen der eigenen Position, des eigenen Faches und der dort gewonnenen Erkenntnisse eine Konstruktion von Identität, die nicht von vorneherein fragmentarisch sein muss?
- Ist es die Aufgabe von Studierenden Fragen zu stellen auf Antworten, die sie schon vorher
kennen?

Viele Fragen mehr noch gilt es, nicht nur als Studierender, zu stellen, auch wenn man die Antworten noch nicht kennt. Von daher stellt sich die Frage nach Theorie und Praxis intellektueller Lebenswelten als eine Frage der „richtigen Einstellung“ zur Wissenschaft und den angesprochenen Begriffen. Ob diese Forderung nach (selbst-)kritischer Reflexion eine spezielle Eigenart der Geisteswissenschaften oder der Studierenden an sich ist, darf stark bezweifelt werden. Eine Pädagogik, die sich kritisch-konstruktiv mit den angesprochenen Themen befasst, stellt nicht nur Antworten parat, sondern generiert auch neue, spannende Fragestellungen.


Michael Schmitt, 24 Jahre
seit 10/2003 an der Otto-Friedrich-Universität Bamberg, tätig in der Studierendenvertretung, HiWi
seit 10/2008 Diplom-Pädagoge Univ., derzeit Student Lehramt an beruflichen Schulen (Sozialpädagogik, Sozialkunde)
Diplomarbeit:
„… nur da ganz Mensch, wo er spielt.“ (Schiller)
Politische und ästhetische Aspekte ganzheitlicher Bildung in der Theaterpädagogik.
Hochschulsemester 11, Fachsemester 1


Historiker als Stütze der Gesellschaft
Analyse von Herrschaftsbedingungen und Aktualisierung populärer Geschichtsbilder

In der geschichtswissenschaftlichen Forschung führt, im Unterschied auch zu anderen historischen Disziplinen, nahezu kein Weg an der Auseinandersetzung mit der Politik vorbei. Gerade im Rahmen neuerer Konzeptionen aber werden dabei politische Institutionen und Entscheidungen nicht mehr isoliert betrachtet, sondern zunehmend in den Kontext ihrer jeweiligen Herrschaftsbedingungen eingebettet. Nicht selten offenbaren sich im Zuge dessen hochkomplexe Zusammenhänge von gesetztem Recht und Ordnungsvorstellungen, wirtschaftlichen Erfordernissen und gesellschaftlichen Erwartungen, sowie drastische Unterschiede zwischen politischen Interessen und ihrer Durchführbarkeit. Nicht zuletzt die Debatte über den „Absolutismus“ lässt seit einigen Jahren politische Herrschaft zunehmend als gewissen Zwängen unterworfen erscheinen und verlangt zu ihrer Erforschung die Bewältigung sich immer weiter steigernder Komplexität ab.

Für den Wissenschaftler bzw. Studenten liegt es auf der Hand, dass sich derartige Rahmenbedingungen mit der Zeit gewandelt haben, sicher aber nicht verschwunden sind, sondern auch heutige politische Entscheidungsträger mit einem schwer durschschaubaren Netz an Abhängigkeiten konfrontieren. Ich will behaupten, dass das Wissen um die Existenz dieser Probleme unweigerlich auch zu gesteigertem Verständnis für die ansonsten gerne vielgeschmähten „Politiker“ führt – wenn schon nicht im Sinne konkreter Lösungsvorschläge (diese bleiben vielmehr eine überholte Idealisierung des Vermögens historischer Forschung), so doch wenigstens in Form geringerer Abneigung bis gesteigerter Sympathie.

Geschichte als Pflichtfach in der Schule, außerdem für viele Teil der Allgemeinbildung oder gar eine Art Hobby, beeinflusst allerdings nicht nur das Weltbild der wissenschaftlich tätigen Minderheit, sondern einer breiten Masse. Die oben angesprochene Komplexität hingegen ist dieser kaum vermittelbar und kann hier keineswegs dieselbe Wirkung entfalten. Populäre Geschichtsbilder, die neben der Vereinfachung und scheinbaren Faktizität vor allem das Problem der Langlebigkeit älterer Darstellungen mit sich tragen, sind nicht ohne weiteres durch aktuelle Forschungspositionen zu ersetzen. Die breite Aufmerksamkeit konzentriert sich nur zu seltenen Gelegenheiten auf die Reflexion des Verhältnisses von Geschichte und Gegenwart: in erster Linie unter dem Eindruck häufig krisenbedingter Unzufriedenheit, aber auch anlässlich historischer Jubiläen.

Erstere kann sich in hohem Maße schädlich auswirken, sofern die Rückbesinnung auf überholte Geschichtsbilder erfolgt, denen häufig mit den heutigen Umständen inkompatible Wertvorstellungen zugrunde liegen. Letztere dagegen stellen, auch aufgrund besserer Vorhersehbarkeit, eine nicht zu unterschätzende Chance für die Aktualisierung von Geschichtsbildern dar. Der für den Historiker so prägende wissenschaftliche Diskurs selbst kann dabei nicht anschaulich gemacht werden, wohl aber die Früchte desselben – was entscheidend ist: denn schon indem sie von der permanenten Reflexion der Forscher abhängen, somit also unter dem Einfluss aktueller Paradigmata und zeitgemäßer Vorstellungen konstituiert wurden, fällt bei ihnen das Angebot an anachronistischen Orientierungsmustern wesentlich geringer aus.

Das Bild von Geschichte als solcher bleibt bei Historikern und Nichthistorikern grundverschieden: Neuere Forschungspositionen werden weiterhin notgedrungen als Richtigstellung alter „Irrtümer“ präsentiert, neuere Forschungsansätze bleiben als Fingerübungen in Komplexität der Wissenschaft vorbehalten. Ihr Effekt aber, die tendenzielle Identifikation mit der Politik der Gegenwart, wirkt sich dennoch auf die vermittelten Inhalte aus. Statt der rückwärtsgewandten Verklärung historischer Zustände bietet die heutige Historiographie vor allem Darstellungen an, welche die politischen Grundlagen unserer Gesellschaft bejahen und ihre Entwicklung stützen.

Manuel Manhard, 22 Jahre
Student (Magister Artium) der Geschichte der frühen Neuzeit, Europäischen Ethnologie und Politikwissenschaft an der Universität Augsburg (7.Fachsemester)
seit WS 2006 studentische Hilfskraft und anschließend auch Tutor der Geschichte der frühen Neuzeit an der Universität Augsburg


Sozioprudenz.
Zu einer Neuakzentuierung der Kultur- und Sozialwissenschaften.
Der Beitrag stammt aus jüngeren Überlegungen, die Kultur- und Sozialwissenschaften als Disziplinengruppe neu zu definieren. Zentrum dieser Wissenschaftsgruppe wäre die Hochschulung kultureller und "sozialer Intelligenz" - in Abgrenzung zu den Naturwissenchaften (Schulung sachlich-technischer Intelligenz) und der Psychologie (Schulung intrapersonaler Intelligenz). Historisch meint das die Freilegung eines etwas verdeckten roten Fadens der Geistes- und Sozialwissenschaften - nämlich der Kunstlehre des Umgangs mit Menschen, die vom Renaissancedenker Castiglione (Hofmannskunst), vom Aufklärer von Knigge (Umgang mit Menschen) über den Romantiker Schleiermacher (Geselliges Betragen) und den soziologischen Klassiker Georg Simmel bis hin zu E. Goffman, systemtheoretischen (N. Luhmann) und differenztheoretischen Positionen (J.Derrida) reicht.

Seit der Renaissance impliziert diese unwahrscheinliche Kunst des Umgangs mit Menschen immer bereits nicht nur eine Sensitivität für verschiedene sozio-kulturelle Kontexte (also nicht nur: das Verstehen), sondern auch ein Können des Umgang mit Differenz (das Verhalten). Diese Akzentverschiebung in den Kultur- und Sozialwissenschaften hin zur Hochschulung kultureller und soziale Intelligenz ist u.a. mit zwei weiteren Thesen verbunden: Erstens ist die "Kunst des Umgangs mit Menschen" (zumindest im europäischen neuzeitlichen Kontext der Höfe und Städte) von Frauen induziert, deren kommunikativer Dauerdruck die männlichen Krieger in "Hofleute" verwandelt; zweitens erlaubt dieser Blick, eine Soziologie aus dem 'Geist der Oberschichten' zu rekonstruieren - ergänzend und korrigierend zu der konventionellen Herleitung der Soziologie aus der Problemlage unterer Schichten (Lösung der "sozialen Frage" etc.). Die Hauptabsicht ist, die praktische Relevanz einer so akzentuierten spezifischen Wissenschaftsgruppe in einer von tendenziell von Produktion auf Kommunikation (Dienstleistungen, intellektuelle Dauerbeobachtung, Medien, interkulturelle Kompetenz, Diplomatie) umgestellten gegenwärtigen Gesellschaft zu markieren.

Dr. Joachim Fischer
Dozent der Philosophie an der Otto-Friedrich-Universität-Bamberg

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