Donnerstag, 15. Januar 2009

„Denk nicht, sondern schau!“ Sieben pragmatische Aphorismen über die Geisteswissenschaften

„Anders ist der Studierplan, den sich der Brotgelehrte, anders derjenige, den der philosophische Kopf sich vorzeichnet. Jener, dem es bei seinem Fleiß einzig und allein darum zu tun ist, die Bedingungen zu erfüllen, unter denen er zu einem Amte fähig und der Vorteile desselben teilhaftig werden kann,[… ] ein solcher wird beim Eintritt in seine akademische Laufbahn keine wichtigere Angelegenheit haben, als die Wissenschaften, die er Brotstudien nennt, von allen übrigen, die den Geist nur als Geist vergnügen, auf das Sorgfältigste abzusondern.“
Friedrich Schiller in seiner Antrittsvorlesung „Was heißt und zu welchem Ende studiert man Universalgeschichte“ als Professor für Geschichte an der Universität Jena 1789

Dieses Zitat aus Schillers Antrittsvorlesung – die laut zeitgenössischen Quellen wahre Begeisterungsstürme erweckte und wohl an jedem geisteswissenschaftlichen Seminar auch heute noch auf große Zustimmung stoßen wird – zeigt, dass der Konflikt zwischen „Brotgelehrten“ und „Philosophischen Köpfen“ – oder anders formuliert „Pragmatikern“ und „Idealisten“ – in der akademischen Welt wohl fast so alt ist wie diese selbst. Er wird dann besonders virulent, wenn akademische und außerakademische Welt aufeinandertreffen, sei es gesamtgesellschaftlich (z. B. bei Verteilungskämpfen um Bildungsetats) oder zwischenmenschlich (bei familiären Diskussionen hinsichtlich der Studienwahl).

Die Geisteswissenschaften sind von diesem Diskurs besonders betroffen. Standen sie in der industriellen Moderne im ideologischen Rechtfertigungswettbewerb mit naturwissenschaftlichen und technischen Disziplinen, so scheint heutzutage die bereits von Schiller aufgeworfene Pragmatismusdebatte im Vordergrund zu stehen. Geisteswissenschaftler widerstreben einerseits der „Verkürzung des Menschen auf Marktfähigkeit “ (Otfried Höffe), streben also nach der Autonomie ihrer Tätigkeit von ökonomischen Gegebenheiten. Andererseits werfen sie der Gesellschaft häufig vor, genau aus diesem Grunde, nämlich deren Ökonomisierung, ihnen eine weitreichende Wirkmächtigkeit vorzuenthalten.

In diesem Spannungsfeld bewegt sich die Biographie des Referenten als „Wanderer zwischen den Welten“. Auf ein aus reiner Neigung gewähltes Studium der Philoso-phie, das mit einer Magisterarbeit über das Verhältnis von Ökonomie, Ästhetik und Moral am Beispiel der Markenkommunikation abgeschlossen wurde, folgt nun eine völlig studienfachfremde berufliche Tätigkeit in einem internationalen Handelsunternehmen. Auch wenn der Verfasser zugeben muss, dass er im Taxi schon immer lieber einen Platz im Fond eingenommen hat, erfolgte die Entscheidung, eine Karriere in der freien Wirtschaft anzustreben, nicht nur aus materiellen Motiven. Vielmehr handelt es sich um die Auffassung, dass der Philosoph in guter sokratischer Tradition sich eben nicht nur unter lauter anderen Philosophen im Kreis bewegt, sondern den Marktplatz besucht. Und was Wittgenstein mit seinem berühmten Diktum „Denk nicht, sondern schau!“ auf die Sprache angewendet hat, bietet sich gerade im persönlichen Lebensweg als Maxime für den Umgang mit konkreten Sachverhalten an.

Es geht dabei nicht darum, die Reflexion etwa einzustellen, sondern sie – gewappnet mit dem systematischen Rüstzeug der philosophischen Methode – anhand konkreter, primärer Erfahrung in der Welt anzustellen. Gerade der Dialog mit anderen Lebenswelten erhält beim Verlassen der akademischen Welt plötzlich eine neue, Bedeutung, er wird im wahrsten Sinn des Wortes existenziell. „Denk nicht, sondern schau!“ bedeutet hier, nicht die Denkweise einer konkreten Person aufgrund theoretischer Überlegungen über deren Sozialisation und Lebenswelt zu antizipieren, sondern die Person einfach danach zu fragen. Diese Mischung aus dem erlernten Wissen über Denkstrukturen und dem Erleben derselben im konkreten Zusammenhang empfinde ich persönlich als große Bereicherung für mein Leben.

Doch natürlich verändert sich auch die Sichtweise auf die geisteswissenschaftliche Betätigung bzw. auf die Wahrnehmung der Welt, wie sie dort gepflegt wird, wenn man sie aus dem Blickwinkel des „Praktikers“ betrachtet. Die Frage nach Relevanz und Anwendbarkeit, Stärken und Schwächen der Geisteswissenschaften in der Praxis, sowohl bedingt durch ihr idealtypisches Selbstverständnis als auch im Hinblick auf ihre Methoden und Ergebnisse, möchte ich in sieben aphoristisch formulierten Thesen aus der Sicht eines Nichtwissenschaftlers wiedergeben:

1. Nicht wir dekonstruieren die Welt; die Welt dekonstruiert uns.
2. Es gibt nicht nur Richtiges im Falschen, sondern auch Falsches im Richtigen.
3. Es ist nicht verwerflicher, akademische Bildung als Handwerkszeug anzusehen,
als ein Auto als Mittel, um von A nach B zu kommen.
4. Das Misstrauen des Idealisten gegen den Pragmatiker und umgekehrt bedingen
sich gegenseitig.
5. Die größte praktische Schwäche der Geisteswissenschaften ist nicht ein fehlender,
sondern ein selektiver Praxisbezug.
6. Die größte praktische Leistung jeder Wissenschaft ist ihre Trivialisierung.
7. Die Annahme der fehlenden Wirkmächtigkeit der Geisteswissenschaften in der
Gesellschaft ist unzutreffend und entspringt einem gewissen akademischen
Solipsismus.

Zum Referenten:
Stefan Petzuch
30 Jahre
Studium der Philosophie an der Hochschule für Philosophie in München
Magisterarbeit zum Thema „Ästhetisierung von Werten in der Werbung“
Seit 2005 Marketing-Assistent in der Unternehmenskommunikation bei der Witt-Gruppe, Weiden




Seitenblicke.
Ein Exkurs in die Welt des Kunsthistorischen Sehens.



Auch durch die neueren Thesen von Hans Belting ist der Blick der Kunstgeschichte wieder in den Vordergrund getreten. Oft hört man vom “Kunsthistorischen Sehen”. Ich möchte versuchen, diesen Blick zu erklären um zu zeigen, was ihn vom “gewöhnlichen Sehen” unterscheidet. Doch ist es möglich, das Sehen und den Blick zu trennen? Die Frage nach der Wissenschaftlichkeit von etwas so subjektiven wie dem Blick sollte gerade als Kunsthistoriker gestellt werden.
Kann man mit einer Kunsthistorischen Ausbildung Kunstwerke “einfach nur schön” finden? Wie wirkt sich eine konstante Beschäftigung mit ästhetischen Fragen und historischen Einordnungen im Alltag aus?
Als angehende Kunsthistorikerin versuche ich sowohl diesen Fragen nachzugehen als auch mich mit dem Fach, seinen Fragestellungen, Unzulänglichkeiten und Idealen zu nähern. Da “die” Kunstgeschichte als Fach alle Kunstgattungen und Epochen umfasst, ist dieses Studium ohne ein ordentliche Portion Enthusiasmus nicht zu bestreiten. Wie lässt sich dieser aufrecht erhalten? Wird die Beschäftigung mit den schönen Seiten des Lebens, der Geschichte und der menschlichen Kreativität irgendwann Alltag? Ist es möglich, mit dem “Kunsthistorischen Blick” normal durch unsere vom Bild geprägten Welt gehen? Und vor allem: in wiefern ändert sich der Blick auf diese Welt durch die Ausbildung?


Heidrun Lange, Studentin der Universität Augsburg in den Fächern Kunstgeschichte, Geschichte der Frühen Neuzeit und Neuere Deutsche Literatur

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